Sven Väth

Veröffentlicht auf von Slater

Mit Sven Väth hätte das ZDF eigentlich einen perfekten Kandidaten für die schwachsinnige Serie „Unsere Besten“, eine lebende Legende, setzt der DJ inzwischen seit mehr als 20 Jahren Akzente im weiten Raum der elektronischen Tanzmusik. Ein Titan des Techno, wird er von vielen zeitgenössischen Experten an den Beginn gleich mehrerer Strömungen, des „Sound of Frankfurt“ natürlich, des Trance, aber auch der EBM, eigentlich eine belgische Angelegenheit, gesetzt. Biografisch lässt er sich indes hervorragend in den Lauf der Geschichte einbauen, die Eltern sind Clubbesitzer, er vertritt einen kranken DJ, dem 1964 bei Frankfurt geborene Mann ist die Disco der 70er Jahre eine Kinderstube, er büchst des Nachts aus, treibt sich in der Nähe des Flughafens herum, und wird vom Gast zum Zeremonienmeister im Dorian Gray – eine Großraumdisko am Frankfurter Flughafen, die Ende 2000 geschlossen wird.

 

Das ist 1982, Sven Väth begreift die Berufung zum DJ umfassend, er ist Zeremonienmeister, extravagant, einer der heute weiß, wovon er spricht, wenn er kluge Sachen über den Drogenkonsum sagt. Für Sven Väth geht es ums Tanzen, die Kommunikation mit der enthusiastischen Masse ist ihm wichtig. Sein Einfluss reicht verblüffend weit. Selbst die manchmal skurril wirkenden Ausrufe des Superstarvogels Mark Medlock scheinen direkt der Sven Väth-Schule entlehnt zu sein: mit kurzen, sehr hessischen Ausrufen, der Aufforderung zu feiern, erarbeitet er sich ein legendären Ruf.

 

Naja, primär ist es natürlich die Musik, die sich allerdings nicht so einfach auf eine Vokabel bringen lässt. Zu lang ist der Weg des Techno, den Sven Väth begleitet und mitgestaltet. Von den ersten Versuchen, mit den zwei Plattenspielern der elterlichen Disko für neue Hörerlebnisse zu sorgen bis hin zum Markennamen, der weltweit, und das heißt wirklich weltweit, gebucht wird. Er prägt den Dancefloor, die Clubkultur, Techno, Trance, nimmt Teil an der kurzen Acid-Zeit in Deutschland, ist früh in Ibiza unterwegs, bringt immer wieder dieses Ethno-/Tribal-Zeugs ein, er könnte prima den Kollegen vom Superbösewicht in einem James-Bond-Film spielen, der in einem Baumhaus auf dem Anwesen desselben, umgeben von seinen Jüngern den Tag zur Nacht macht. Am Anfang stehen Soul und HI-NRG, Sven Väth ist ein bunter Vogel des Frankfurter Nachtlebens, er gehört zu den DJs, die ihre Hörer nicht einfach bedienen, sondern sie auf eine Reise mitnehmen, von der nicht wenige glücklich, aber mit einem Hörsturz heimkehren.

 

Wie bei DJs üblich sind auch die meisten Produktionen zum Mitnehmen von Sven Väth Remixes und Mix-Compilations, das, was man Studioalben nennt, gibt es erst in den 90er Jahren – allerdings leistet Väth auch auf diesem Gebiet Pionierarbeit. Es ist wirklich erstaunlich, was ihm alles zugeschrieben wird – der mutige Mix scheint eine Kerneigenschaft des Musikers zu sein, er heiratet schließlich mit einer buddhistischen Zeremonie in Wien eine Handschuhdesignerin. Wir greifen wieder vor. Mitte der 80er Jahre legt Sven Väth an jedem Wochenende im Frankfurter Vogue auf, hier erreicht ihn die House-Music aus Chicago.

 

Frankfurt feiert sich, House und Sven Väth, inzwischen ist der auch auf Ibiza unterwegs und gründet 1986 mit Michael Münzig und Luca Anzilotti (der ist später an Snap! beteiligt), das Projekt Off. Bis 1989 entstehen zwei Alben, mit der Single „Electrica Salsa“ wird Sven Väth zum Popstar. Es folgen einige Hits, die heute keine mehr wären, historisch relevant sind jene Schritte, mit denen der DJ ein umfassendes Imperium aus dem Boden stanzt.

 

Sven Väth – Omen

 

Sven Väth ist zurück im Dorian Gray, als er sich 1988 für einige Monate aus Frankfurt verabschiedet, zurückkehrt und das Vogue kauft. Das Ding wird generalüberholt und als Omen neu eröffnet, und zwar genau im richtigen Moment, um etwas von der kurzen, aber gewaltigen Acid-Welle abzubekommen. Michael Münzing bleibt geschäftlich an seiner Seite, hinzu kommt Mathias Martinson. Matthias Hoffmann produziert das zweite und letzte Album von Off, mit ihm und Steffen Britzke startet Sven Väth nun (für einige Monate als Sam Vision) das Projekt Mosaic.

 

Ab 1990 wird die Live-Arbeit von Sven Väth zunehmend härter, Techno ist jetzt angesagt, das Omen wird zu einer Art Wallfahrtsort. Der nächste Schritt ist das eigene Label Eye Q, das er mit Hoffmann und dem Verleger Heinz Roth gründet, mit Harthouse und Recycle or Die folgen zwei weitere. Sven Väth geht mit seinen eigenen Sets neue Wege, wird hypnotischer, Trance entsteht bzw. der Sound of Frankfurt. Das alles spielt sich in vergleichsweise kurzer Zeit ab – allerdings ist mit gewöhnlicher Zeitmessung der Sache nicht beizukommen, schließlich sind die Nächte lang genug für eine gemächliche Entwicklung.

 

Als Barbarella veröffentlicht er „The Art Of Dance“, mit Ralf Hildenbeutel entsteht das erste Album des Künstlers Sven Väth: „Accident In Paradise“ erscheint im September 1992, 1994 folgt „The Harlequin, The Robot And The Ballett Dancer“. Sven Väth ist ein Superstar einer Szene, die Massen bewegt, mit der die Meinungsmacher jedoch nicht so richtig umzugehen wissen. Die Warner Music Group fädelt einen Deal mit Eye Q ein, Sven Väth bastelt viel an Tracks für Harthouse, Remix-Versionen der Soloalben werden zu Erfolgen, als Astral Pilot veröffentlicht Väth „Electro Acupuncture“ – ein merkwürdiges Werk. Die gesamte Elektrowelt befindet sich massiv im Umbruch, der Underground, der riesige, löst sich auf – besser gesagt werden im Underground Mauern gezogen und Schützengräben ausgehoben. So ganz ist nicht raus, warum Eye Q und Harthouse plötzlich pleite sind, Sven Väth zeichnet aus, dass er zuvor bereits die Reißleine zieht und sich aus dem Geschäft verabschiedet.

 

Sven Väth – Cocoon

 

Seit 1996 feilt er an Cocoon, einem umfassenden Konzept (nach Vertriebs-, Vermarktungs- und künstlerischen Aspekten) für elektronische Kunst, erste Veranstaltungen finden statt. 1997 folgt der Abschied von Eye Q und Harthouse, Sven Väth unterschreibt bei Virgin Records, im März 1998 erscheint das Album „Fusion“. Alles ist Fusion, Väth vermählt verschiedene elektronische Musikrichtungen miteinander, hat ein Veranstaltungskonzept, geht aus Fusion-Welttournee und kooperiert verstärkt mit berühmten Kollegen.

 

Das Omen schließt im Oktober 1998. Im neuen Jahrtausend ist alles Cocoon. Im März 2000 erscheint „Contact“, ein Konzeptalbum, im selben Jahr folgen „Retrospective 1990-97“ und mit „The Sound Of The First Season“ der Beginn einer Reihe, die inzwischen die Marke repräsentierende Tradition ist. Während im elektronischen Zeitalter die elektronische Bewegung eingeschlafen scheint bzw. die Helden der ersten Jahre oft nur noch wenig gelten (wenn man einmal von ihren Arbeiten der ersten Jahre absieht – eine an sich recht vernünftige Entwicklung), bleibt Sven Väth dick im Geschäft. Ihn zieht es um den kompletten Erdball.

 

2002 erscheint „Fire“, ein Album, auf dem er mit Miss Kittin „Je T´aime … Moi Non Plus“ verarbeitet. Inzwischen hat er ein enormes Standing, selbst Obertshausen, sein Heimatort, bittet offiziell um einen Abend, man spürt, gerade wenn man in die Feuilletons lauscht, dass Sven Väth inzwischen mehr als ein etablierter Künstler ist. Als zeitgeschichtlich relevante Person wird ihm Respekt von Stellen entgegengebracht, die grundsätzlich mit ihm und seiner Musik nichts anfangen können. Aber so ist der Lauf der Dinge – und für Cocoon läuft es wie geschmiert.


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